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Garten Warum es kein Unkraut gibt

Das Frühlings-Hungerblümchen wächst fast überall. Wie bei vielen kleinen, unscheinbaren Wildkräutern muss man sehr nah rangehen, um die Schönheit der Blüten zu erkennen
Das Frühlings-Hungerblümchen wächst fast überall. Wie bei vielen kleinen, unscheinbaren Wildkräutern muss man sehr nah rangehen, um die Schönheit der Blüten zu erkennen
© Corri Seizinger / Adobe Stock
Viele Gartenbesitzer*innen stören sich an Pflanzen, die sich ungefragt eingestellt haben – und reißen sie heraus. Dabei sind sie vielleicht die eigentlichen Helden im Beet

Neulich nahm mich ein befreundeter Pflanzen-Freak mit auf einen Streifzug durch sein Gartenreich. An einem Staudenbeet ging er in die Hocke. "Schlimmes Unkraut", sagte er und rupfte wahllos ein paar Büschel von einem kleinen Gewächs aus. Ich habe es nachgeschlagen. Es war das Frühlings-Hungerblümchen. Man muss sehr nah rangehen, um die winzige, weiße Blüte zu erkennen.

Mein Freund ist kein Unmensch. Er ist eben Gärtner. Und wahrscheinlich jeder Gärtner, jede Gärtnerin kennt das Problem: Pflanzen, die sich ungefragt und ungewünscht einstellen, heimlich und unterirdisch ihre Triebe ausstrecken, sich aussähen, plötzlich da sind: meist heimische Wildkräuter, die gar nicht einsehen, warum sie sich an das Betretungsverbot im Beet halten sollten.

Die Sprache ist verräterisch: So wie "Unmenschen" und "Undinge" sind "Unkräuter" etwas, das nicht nur minderwertig ist – zumal im Vergleich zu "edlen" Rosen-Züchtungen und anderen spektakulären Hinguckern aus dem Baumarkt oder sogenannten Nutzpflanzen – sondern eigentlich besser gar nicht da wäre. Und ausgerottet, vernichtet werden muss. "Unkrautvernichter" ist ein Wort direkt aus dem Wörterbuch des Garten-Rassismus. Es passt zu jenen Gärten des Grauens, die nur aus Beton, Asphalt, Kies und höchstens noch Einheits-Rasen bestehen.

Gesinnungswandel im Garten

Glücklicherweise denken heute viele über den Garten und die Pflanzen darin anders. Immer öfter ist nicht-diskriminierend von "Wildkräutern" zu lesen und zu hören, die den Garten nicht etwa heimsuchen, sondern bereichern. Heimische Gehölze kommen wieder in Mode. Auf der berühmten Gartenschau im englischen Chelsea werden in diesem Jahr sogar in vier von zwölf Schaugärten Wildkräuter präsentiert, darunter Disteln, Brombeeren oder Flockenblumen.

Sheila Das, Gartenmanagerin bei der renommierten Royal Horticultural Society, fordert, dass Gärtner*innen nicht länger abwertend von "Unkräutern" – und stattdessen lieber von "Kräuterhelden" oder "Superkräutern" sprechen sollten. Die Vorzüge heimischer Wildpflanzen sind längt bekannt: Sie sind an hiesige Standortbedingungen wie Boden und Klima hervorragend angepasst (sonst würden sie im Garten nicht so gut gedeihen) – und sie bieten Insekten und anderen Lebewesen eine Lebensgrundlage (die sie auf totgespritzten und flurbereinigten Äckern nicht mehr finden). Sie bereichernd die Artenvielfalt im Garten und schützen den Boden vor Erosion und Austrocknung.

Und sie sind schön anzusehen. Warum den Löwenzahn aus dem Rasen zupfen, sobald er im Frühjahr anfängt zu blühen? Die strahlend gelben Blüten werten jeden Rasen ästhetisch auf und sind darüber hinaus eine wichtige Pollen- und Nektar-Quelle für Insekten wie Wildbienen, die schon früh im Jahr auf der Suche nach Nahrung sind.

Zugegeben: Ich hab leicht reden. Ich hab ja gar keinen Garten. Aber wenn ich einen hätte, gäbe es darin auch Frühlings-Hungerblümchen.

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