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Die Lügenfinderin

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Ein Schulkind arbeitet mit einem Tablet.
Ist die Quelle glaubwürdig? Vielen jungen Menschen fällt es schwer, Informationen aus dem Internet zu prüfen. © Sebastian Gollnow/dpa

Wissen, was stimmt: Juliane von Reppert-Bismarck und die „Lie Detectors“ helfen Schüler:innen, Fake News zu erkennen.

Ihr Aha-Erlebnis hatte die Journalistin Juliane von Reppert-Bismarck vor vier Jahren. Es war die Zeit des Brexit-Referendums, im selben Jahr kam US-Präsident Donald Trump an die Macht. Von Reppert-Bismarck sprach für einen Dokumentarfilm über Fremdenfeindlichkeit mit Jugendlichen. „Eine 13-jährige Schülerin erzählte mir, dass die Hälfte ihrer Mitschüler Trump wählen würde, wenn sie könnten“, erzählt sie.

Der Grund: In der Klasse kursierte ein Text, in dem Hillary Clinton absurde Dinge unterstellt wurden. „Als ich die Schülerin fragte, woher sie die Information hat, sagte sie: Meine Quelle ist Insta.“ Von Reppert-Bismarck wurde klar, dass junge Menschen sich anders informieren als Erwachsene. „Sie informieren sich visuell, auf Youtube, Instagram oder Tiktok und denken nicht in journalistischen Quellen, sondern in Plattformen.“

Juliane von Reppert-Bismarck, Gründerin von „Lie Detectors“.
Juliane von Reppert-Bismarck (47) schrieb unter anderem für das Wall Street Journal. © Privat

Es sei viel schwieriger, dort gegen Falschinformationen vorzugehen. „Faktenchecker wie der ARD-Faktenfinder oder Mimikama sind sehr wichtig, aber sie kommen nur an ein Bruchteil der Informationen“, sagt von Reppert-Bismarck.

„Lie Detectors“ wird 2017 gegründet

Eigentlich hatte die 47-jährige Journalistin, die unter anderem für das Wall Street Journal und die Nachrichtenagentur Reuters schrieb, nicht vor, ihren Job zu wechseln. Nach dieser Erfahrung konnte sie nicht mehr anders: Im Jahr 2017 gründete sie das Projekt „Lie Detectors“.

Das Ziel: Kindern und Jugendlichen beibringen, wie sie richtige und falsche Informationen unterscheiden können. „Wenn die Jugendlichen beginnen, ihr Weltbild zu formen, sollen sie das zumindest mit Tatsachen machen“, sagt von Reppert-Bismarck.

In der internationalen Vergleichsstudie ICILS landeten deutsche Achtklässler:innen im Jahr 2018 nur im Mittelfeld, was den Umgang mit digitalen Informationen angeht. Ein Drittel der Jugendlichen hat nur sehr rudimentäre Computerkenntnisse, kann also „nur Links anklicken und E-Mails öffnen“, wie es die Leiterin der Studie für Deutschland, Birgit Eickelmann von der Universität Paderborn, im Deutschlandfunk zusammenfasst. Informationen reflektiert bewerten und etwa die Quelle überprüfen, könnten diese Schüler:innen nicht.

Schüler:innen treffen Journalist:innen

Um das zu ändern, bringen die „Lie Detectors“ Schüler:innen und Journalist:innen zusammen. In den Schulklassen erklären diese, was Falschmeldungen sind, warum es sie gibt und vor allem: Wie man sie finden kann. Zum Beispiel bekommen sie ein Foto von Delfinen, die zu Beginn der Corona-Krise angeblich in der Lagune von Venedig gesichtet wurden. Mit einer Bilder-Rückwärtssuche können die Jugendlichen dann herausfinden, dass diese Delfine mal in Wien, mal in Venedig, mal an einem anderen Ort gewesen sein sollen. „Das kann für junge Leute ganz lustig sein, das zu enträtseln“, erzählt von Reppert-Bismarck.

Dass die Schüler:innen dies von Journalist:innen lernen, ist Absicht: Die „Lie Detectors“ wollen Journalismus „vermenschlichen“. Die Journalist:innen erzählen, wie sie arbeiten und dass dabei auch Fehler passieren können. „Es gibt auf der einen Seite die vorsätzliche Lüge, auf der anderen Seite den Journalismus, der vielleicht nicht immer alles wunderbar und perfekt macht, aber von professionellen Menschen durchgeführt wird mit dem Ziel, zu informieren“, fasst von Reppert-Bismarck die Lektion zusammen, die sie vermitteln will.

„Lie Detectors“ erhält Anfragen aus der ganzen Welt

Seit Beginn der Corona-Krise haben die „Lie Detectors“ 57 digitale Klassenzimmer besucht und über 400 Schüler:innen erreicht. Momentan sei es für alle Menschen relevant zu wissen, was stimme und was nicht, sagt von Reppert-Bismarck.

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Auch vor Beginn der Pandemie kam „Lie Detectors“ gut an: Über 8500 Schüler:innen in Deutschland, Belgien und Frankreich im Alter von zehn bis elf und von 14 bis 15 Jahren haben die Lügenfinder:innen schon im Klassenzimmer besucht – unabhängig von der Schulform. Zehn Menschen arbeiten fest bei dem Projekt, das seinen Sitz in Brüssel hat und von der Wyss-Stiftung finanziert wird. Von Reppert-Bismarck bekommt Anfragen aus aller Welt, viele Lehrer:innen bestellen die „Lie Detectors“ mehrmals.

Schüler:innen und Falschinformationen

Aber kann eine Unterrichtseinheit von 90 Minuten wirklich nachhaltig etwas verändern? Immerhin: In den über 8500 Fragebogen, die Schüler:innen nach den Unterrichtsstunden beantwortet haben, geben neun von zehn an, die Rolle und Gefahren von Falschinformationen nun besser zu verstehen.

Doch die Antworten weisen auch auf Schwächen der Bildungssysteme hin: 80 Prozent der Lehrer:innen gaben im Fragebogen zwar an, Medienkompetenz wichtig zu finden, aber weniger als die Hälfte hatte über das Thema schon mit den Schüler:innen gesprochen.

Aktiv werden

PROJEKT: Die Frankfurter Rundschau gibt Kreativrebellinnen, Ideen-Vulkane und Fortschrittmachern eine Stimme – mit „Zukunft hat eine Stimme“. Ideen können ab sofort vorgestellt werden unter www.fr.de/meinezukunft

WAS TUN: Sprechen Sie mit Ihren Kindern und Enkelkindern über ihren Medienkonsum. Lesen Sie gemeinsam Zeitung: Was ist ein Bericht, was ist ein Kommentar?

WEITERLESEN: Die Bundeszentrale für politische Bildung hat ein Lernangebot für Schule und Jugendarbeit zusammengestellt.

Bildungsforscher wie Klaus Hurrelmann und Medienwissenschaftler wie Bernhard Poerksen fordern, Medienkompetenz als eigenes Schulfach einzuführen. Auch in der Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2016 ist vorgesehen, dass Schulen mehr Medienkompetenz vermitteln, allerdings in den jeweiligen Fachunterricht integriert.

Auch Journalist:innen lernen von den Kindern

Von Reppert-Bismarck findet: „Eigentlich sollte es unser Projekt eines Tages nicht mehr geben müssen. Es ist ja nicht unser Job als Journalisten, in Schulen zu gehen.“ Ziel sei es auch, dass die Lehrer die Konzepte in ihren Unterricht übernehmen.

Allerdings können auch die Journalist:innen von den Schüler:innen lernen: „Wir haben auch Journalisten, die dann das, was sie selber im Klassenzimmer gelernt haben, in ihrer eigenen Redaktion weitergeben“, sagt von Reppert-Bismarck. Zu lernen, wie sich junge Menschen informieren sei auch für Journalisten wichtig.

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